Mittwoch, 11. Januar 2012

Sind das Möwen?


Meine Fußgängerzone. Natürlich ist sie nicht meine. Sie gehört meinem Stadtteil. Aber irgendwie ist sie doch meine. Sie ist schraddelig und weitläufig, grau und verbaut, aber dann auch wieder bunt und inspirierend. Zumindest für mich. Und es gibt immer wieder etwas zu erzählen.

Ich liebe meine Fußgängerzone. Sogar die Tauben. So irgendwie. Es gibt gar nicht so viele Tauben in meiner Fußgängerzone. Sie konzentrieren sich eigentlich alle an einer Stelle. Dort, wo die ganze Taubenkacke liegt. Dort, wo man Fußgänger Schlangenlinien laufen sieht, weil sie eben dieser versuchen auszuweichen. Ich bin da nicht so. Ich laufe immer mitten hindurch. Meist knartscht es so lustig, wenn man auf die Kruste tritt, die so aussieht, als könnte sie für Mondoberflächenforscher von großem Interesse sein.

In letzter Zeit sehen die Tauben allerdings gar nicht mehr gut aus. Waren sie vor ein paar Jahren noch fett und selbstbewusst, sieht man jetzt immer mehr halbe Portionen, abgemagerte und zerrupfte Exemplare. Die Zeiten sind halt schlecht. Vor dem Bäcker steht ein 'Wir müssen draußen bleiben'-Schild. Da Tauben schlecht lesen können, muss man im Laden oft den Kopf einziehen, wenn mal wieder eine legasthenische Taube im Tiefflug Krumen zu erhaschen versucht. Die Bäckereifachverkäufer haben bereits eine beachtliche Hornhaut an den Schläfen entwickelt. Manche durch infizierte Taubenkrallen verursachte Furche sieht aus wie ein Schmiss. Die zählen schon was in der Bäckerinnung. Neukunden entwickeln allerdings eine gewisse Nervosität ob des Taubenverkehrs. Ich komme klar. Als Mutter kleiner Kinder kann man Geschossen blitzschnell aus dem Weg gehen. Bauklotz oder Taubenschiss, Fingernagel oder Vogelkralle, ist da egal.

Die Kinder sind natürlich auch nicht gut zu den Tauben. Mit ihren Laufrädern fahren sie johlend quer über den Platz, direkt in die vor sich hin dösende Menge. Dann versuchen sie, von mit dem Krückstock fuchtelnden Opas angestachelt, den Geschöpfen auf die Schwänze zu treten. Die halben Portionen kommen nie schnell genug weg. Wenn sie Glück haben, werden sie von einer ihrer fetten, schwerfällig hoch hüpfenden Schwestern geschützt. Wenn nicht, schmücken ihre Hinterfedern schon bald drollige Knetfiguren oder Muttis Bild zum Namenstag.

Sowieso hat niemand mehr Respekt vor den Tauben. Während ich meiner Familie versuche beizubringen, dass die Würde jedes gemeinen Vogels unantastbar sein sollte, kommt das Kusch-kuschen ganz groß in Mode. Aber mir hört ja sowieso niemand zu. Mein Kleinkind fragt immer, ja jedes Mal, wenn wir am Taubenplatz vorbeikommen: „Sind das Möwen?“ Aber ich werde nicht müde, mit Nachsicht in der Stimme, zu sagen: „Nein, mein Kind, das sind Tauben.“ Die Tauben in meiner Fußgängerzone.


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