Dienstag, 12. Oktober 2010

Reisefieber.

Die verehrte Frau Schinkenkäse, ihres Zeichens Flugbegleiterin und Autorin des beliebten Schinken-oder-Käse-Blogs, hat mich um Hilfe gebeten. Sie möchte ihre Passagiere besser verstehen. Vor allem die Nervigen. Die Optimistin. Als würde das was helfen. Aber gut. Ich werde versuchen, ihr die Spezies der flugreisenden Familien näher zu bringen. Seufz.

Frage Nr. 1: Was befindet sich eigentlich im völlig überdimensionierten Handgepäck, das Eltern auf Flugreisen mit sich schleppen?

Erstens glaube ich, dass Eltern-Handgepäck nur so groß wirkt, weil man es neben den kleinen Kindern sieht. Das ist eine Frage der Perspektive. Auch wirken sie immer so schwer, weil die Eltern so ein leidendes Gesicht beim Tragen machen. Das liegt aber meist nicht am Gepäck, sondern an einer Kombination vieler anderer Probleme, die Eltern, die mit Kleinkindern verreisen, haben. Aber da das (noch) nicht die Frage ist, hier zunächst eine unvollständige Eltern-Kind-Handgepäck-Packliste. Gern nehme ich Anregungen entgegen, welche Teile ich in Zukunft weglassen darf.
  • Windeln. Wenn wir keine Windeln dabei haben, haben Sie Pipi und Schlimmeres überall im Flugzeug.
  • Feuchttücher. Ohne Feuchttücher nur unvollständige Reinlichkeit beim Baby, die zu Geruchsbelästigung oder Schmierflecken an Stellen, an denen Sie sie nicht mögen, führen kann.
  • Wickelunterlage. Ich darf Sie zitieren?: „Ja, wissen (die Mütter) denn nicht, dass vorher schon fünftausend Hintern diesen Sitz vollgepupst haben? Haben die da kein Ekelgefühl? Oder zumindest eine Wickelunterlage?“
  • Mülltüten. Damit wir das Päckchen nicht zusammen mit den Speiseresten auf dem Tablett entsorgen müssen.
  • Wechselklamotten. Egal, ob nun das Baby sich einkackt (und glauben Sie mir, das ist nicht nur Ihnen unangenehm!) oder die Eltern aufgrund einer Turbulenz ihren Saft über das Kind schütten, Wechselklamotten machen Sinn. Natürlich ist es so, dass man sie meist nicht braucht, aber man kann sich sicher sein, dass man, wenn man sie NICHT mitgenommen hat, schmerzlich vermissen wird.
  • Babyfläschchen, Milchpulver, heißes Wasser in der Thermoskanne, kaltes Wasser in der Plastikflasche. Da man als Elternteil nicht auf den Service der Flugbegleiter angewiesen sein möchte, die nur ungern 70ml abgekochtes Wasser auf sechs gestrichene Messlöffel Milchpulver gießen, dann mit 130ml kaltem, für Babynahrung geeignetem Wasser auffüllen und diese Mixtur dann dem brüllenden Baby anreichen, hat man alles dabei.
  • Gläschen mit Babybrei, Reiskräcker, Brezeln. So gern wir Erwachsenen uns am kulinarisch ausgeklügelten Flugzeugessen laben, so direkt verkünden doch Kinder, wie eklig sie das finden.
  • Kinderbücher. Zum still halten, zumindest für eine Weile. Die Kärtchen mit den Sicherheitshinweisen und die Bordzeitschrift, die ja auch schon von anderen Babys angekaut wurde, halten einfach nicht lange genug vor.
  • Altersgerechtes Spielzeug. Auch aus Erfahrung. Meinem fünf Monate alten Baby wurde einmal von einer sehr bemühten Flugbegleiterin ein Malset geschenkt. Mit den Miniaturstiften konnte es sich und uns prima die Augen ausstechen, am Radiergummi fabelhaft ersticken und das Papier aufessen. Im Gegenzug wurde meiner großen Tochter einmal eine Rassel geschenkt. Fand sie super.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern noch ein paar Dinge im Handgepäck mit sich führen. Da zugegebenermaßen nicht mehr viel Platz bleibt, beschränke ich persönlich mich auf eine Reihe Beruhigungspillen und eine Tüte Salzlakritz. Ach ja, und eine Pulle Schnaps für die Passagiere neben mir und die Flugbegleitung.

Frage Nr. 2: Müssen Eltern ihre Kinder auf einem freien Sitz wickeln?

Nein. Eltern können auch den sogenannten Wickeltisch in der Flugzeugtoilette benutzen. Das geht ganz einfach. Zuerst schnappt man sich die Wickeltasche. Die ist meist etwas groß und unhandlich. Also dengelt man entweder auf dem Weg zur Toilette mit der Tasche gegen alle Sitzlehnen, ein paar auf den Gang hängende Köpfe schlafender Passagiere sowie den Cateringwagen, oder man beschränkt sich auf das Nötigste und klemmt sich nur die Windel und die Feuchttücher unter den Arm. Auch das Kind sollte man mitnehmen. Da dieses ob der vollen Windel rumquengelt, wissen bald alle Passagiere, wohin wir wollen.

Am Klo angekommen, warten wir auf einen freien Raum. Natürlich sind zu der Zeit nur uralte Omis oder Männer mit der Wochenzeitung auf der Toilette, so dass man lange wartet. Mit einem schreienden Kind auf dem Arm. Ständig möchte ein Crewmitglied vorbei, oder ein Passagier, der nicht weiß, wo er hin will, und der dann auch gleich wieder zurück möchte. Endlich wird ein Raum frei. Der die Toilette verlassende Mensch will einem netterweise die Tür aufhalten, was aber natürlich bei diesen genialen Klapptüren nicht geht, so dass sich erst einmal alle Beteiligten die Finger klemmen. Auch das Kind, das daraufhin noch mehr schreit. Man quetscht sich in den winzigen Raum, schließt umständlich die Tür hinter sich, dreht sich um und sieht, dass dieser Raum gar keinen Wickeltisch hat. Man verlässt also den Raum wieder und wartet, bis die Omi im Nebenklo sich zuende gepudert hat.

Endlich im richtigen Raum angelangt eröffnet sich das nächste Problem. Wohin mit der Wickeltasche? Auf den Boden? Nein, vollgepullert. Aufs Waschbecken? Nein, versifft. An den Haken? Gibt es nicht. Also klemmt man sie sich zwischen die Beine. Nun hält man mit der einen Hand das Baby und kann mit der anderen den Wickeltisch herunter klappen. Dachte man. Geht nicht. Klemmt. Man wechselt den Arm. Geht nicht. Klemmt immer noch. Man muss das Kind loswerden, um zwei Hände frei zu haben. Aber wohin damit? Auf den Boden? Immer noch vollgepullert. Auf den Klodeckel? Geht auch nicht, denn erstens kann das Baby noch nicht sitzen und würde hinunter kippen und zweitens geht dann ja der Wickeltisch nicht mehr auf. Also doch auf den Boden. Man hat ja Wechselklamotten mit. Wenn man sich denn entschieden hat, die gesamte Wickeltasche auf die Expedition mitzunehmen. Ansonsten muss man mal eben schnell wieder zurück zum Platz. Dann muss das Kind auf den Wickeltisch gehievt werden. Kopf ans Kopfende, Füße, Knie und Beine hängen weit herunter. Diese Tische sind für Frühchen bis zum Alter von vier Wochen geeignet, aber nicht für ein, im wahrsten Sinne des Wortes, stinknormales Kleinkind. Wie auch immer, als erfahrenes Elternteil kommt man mit fünf bis sechs blauen Flecken davon, flucht nur ein bisschen und beschließt, das nächste Mal das Kind, natürlich, auf einem freien Sitzplatz zu wickeln.

Und, geschätzte Frau Schinkenkäse, haben Sie noch weitere Fragen? Jederzeit gern.