Donnerstag, 11. November 2010

Don't You Know That It's Different For Girls.

Ich war gestern im Konzert. Allein. Ich gehe selten allein ins Konzert. Aber diesmal wollte ich es so. Ich bin ein großer Fan. Freunde von mir mögen ihn auch, aber nicht so wie ich. Ich habe immer das Gefühl, dass sie mich nur begleiten, damit ich nicht allein gehen muss. Aber das ist doof. Daher nun also allein. Das ist wunderbar. Keiner trinkt dir dein Bier weg und man kommt überall durch. Und man bekommt so viel mehr mit von der Before-Show-Atmosphäre. Man sieht sich das Publikum genau an, man hört hin, was sie sich erzählen. Und man ist amüsiert, irritiert, manchmal sogar schockiert. Warum zum Beispiel sind die Leute plötzlich zehn Jahre älter als ich? Bei den letzten Konzerten waren sie doch ungefähr genauso alt wie ich. Oder bin ich etwa auch schon so alt und weiß es nur nicht? Oh Gott.

Da sind Leute, die mit dem Rücken zur Vorband sitzen. Hinter einem Pfeiler. Da sind genau zwei Sitzplätze am Pfeiler. Bloß nicht so lange stehen, lieber sitzen bleiben. Sie gucken völlig gelangweilt gegen die Oberschenkel der anderen Besucher. Dabei ist der Support Act gar nicht schlecht. Sieht ein bisschen aus wie Lenny Kravitz. Und singen kann er auch. Aber lieber sitzen bleiben, solange es noch geht. Für den Main Act haben sie ja bezahlt. Dafür stehen sie dann auf.

Es sind viele Lehrer da, viele Karohemden, viele Bärte. Generell viele Brillen und viele Haare. Eigentlich nicht selbstverständlich bei dem Altersdurchschnitt. Viele, volle Haare. Und mehr Männer als Frauen. Ein Typ sieht aus wie der Hauptdarsteller in 'Dawson's Creek', einer ist ein Elvis-Verschnitt, einer wohl Jan Delay-Fan. Eine Hausfrau himmelt Elvis an. Es gibt einige Rausreißer mit Billabong-Jacken. Vor mir steht eine Frau mit Haaren, wie sie jede Frau, außer sehr wahrscheinlich sie selbst, haben möchte. Voll, lang, lockig. Aber sie kitzeln in meiner Nase. Ziemlich eng hier.

Ich hole mir noch ein Bier und versuche, in die Mitte zu kommen. Weiter nach vorn. An den meisten Männern komme ich mit meinem Engelsblick gut vorbei. Doch irgendwann ist Schluss. Schluss mit lustig. Ich stecke in einer Gruppe fest, die es gar nicht komisch findet, wenn sich Fremde vordrängeln. Eine Frau sagt zur mir: „Da kommen noch Zwei!“ Ich sage: „Da kommen noch mehr. Ist ja ein Konzert hier.“ Ihr Kumpel dreht sich um und schlägt mir das Bier aus der Hand. „Das trocknet wieder!“ ist sein Kommentar. Die Zwei kommen. Einer sagt: „Wer ist die denn?“ und deutet auf mich. „Die hat sich vorgedrängelt. Aber die ist ja klein.“ Ich drehe mich um und bestätige, dass ich klein bin. Er sagt: „Aber trotzdem.“

Dann beschwert er sich übers Bier. Gibt ja nur Astra und Carlsquell. Obwohl, das ist bestimmt kein Carlsquell, sondern nur irgendein ALDI-Bier, müsste man mal ins Labor schicken. Er trinkt ja nur Jever. Jever mit V wie in Hannover, nicht wie in Vase. Der Typ mit den langen Haaren (lang sind für ihn schon die Haare von Howard Carpendale) war vorher auch noch nicht da. Und was ist das überhaupt für Musik? Orientalische Loungemusik?

Ich konzentriere mich lieber auf den Mann mit den schwarzen Haaren und den weißen Koteletten. Oder den mit den weißen Haaren und den schwarzen Augenbrauen. Dann ist da ein Typ mit DJ-Ötzi-Kappe in Regenbogenfarben, der eine Hells Angels-Jacke trägt. Und der Mann neben mir, der mich irritiert anguckt, weil ich die Dinge, die ich sehe, in mein Handy spreche, damit ich dies hier später schreiben kann. Er trägt Ohrstöpsel, natürlich. Als wären wir hier bei Manowar.

Zehn nach neun, das Publikum wird ein wenig ungeduldig, es wird Kaugummi von der Galerie geschmissen, man hört verschiedentliches Raunen. „Er verärgert sein Publikum“. Als ein Roadie auf die Bühne kommt, wird „Scheiße“ gerufen.

Dann kommt er. Und der Typ hinter mir sagt: „Der sieht ja aus wie Tom Buhrow.“ Seine Frau ergänzt: „...mit riesigen Ohren.“ Ich will mich umdrehen und ihnen mein Bier ins Gesicht kippen. Aber das ist ja schon alle.

Das Konzert beginnt. Und es wird gut. Danke.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Reisefieber.

Die verehrte Frau Schinkenkäse, ihres Zeichens Flugbegleiterin und Autorin des beliebten Schinken-oder-Käse-Blogs, hat mich um Hilfe gebeten. Sie möchte ihre Passagiere besser verstehen. Vor allem die Nervigen. Die Optimistin. Als würde das was helfen. Aber gut. Ich werde versuchen, ihr die Spezies der flugreisenden Familien näher zu bringen. Seufz.

Frage Nr. 1: Was befindet sich eigentlich im völlig überdimensionierten Handgepäck, das Eltern auf Flugreisen mit sich schleppen?

Erstens glaube ich, dass Eltern-Handgepäck nur so groß wirkt, weil man es neben den kleinen Kindern sieht. Das ist eine Frage der Perspektive. Auch wirken sie immer so schwer, weil die Eltern so ein leidendes Gesicht beim Tragen machen. Das liegt aber meist nicht am Gepäck, sondern an einer Kombination vieler anderer Probleme, die Eltern, die mit Kleinkindern verreisen, haben. Aber da das (noch) nicht die Frage ist, hier zunächst eine unvollständige Eltern-Kind-Handgepäck-Packliste. Gern nehme ich Anregungen entgegen, welche Teile ich in Zukunft weglassen darf.
  • Windeln. Wenn wir keine Windeln dabei haben, haben Sie Pipi und Schlimmeres überall im Flugzeug.
  • Feuchttücher. Ohne Feuchttücher nur unvollständige Reinlichkeit beim Baby, die zu Geruchsbelästigung oder Schmierflecken an Stellen, an denen Sie sie nicht mögen, führen kann.
  • Wickelunterlage. Ich darf Sie zitieren?: „Ja, wissen (die Mütter) denn nicht, dass vorher schon fünftausend Hintern diesen Sitz vollgepupst haben? Haben die da kein Ekelgefühl? Oder zumindest eine Wickelunterlage?“
  • Mülltüten. Damit wir das Päckchen nicht zusammen mit den Speiseresten auf dem Tablett entsorgen müssen.
  • Wechselklamotten. Egal, ob nun das Baby sich einkackt (und glauben Sie mir, das ist nicht nur Ihnen unangenehm!) oder die Eltern aufgrund einer Turbulenz ihren Saft über das Kind schütten, Wechselklamotten machen Sinn. Natürlich ist es so, dass man sie meist nicht braucht, aber man kann sich sicher sein, dass man, wenn man sie NICHT mitgenommen hat, schmerzlich vermissen wird.
  • Babyfläschchen, Milchpulver, heißes Wasser in der Thermoskanne, kaltes Wasser in der Plastikflasche. Da man als Elternteil nicht auf den Service der Flugbegleiter angewiesen sein möchte, die nur ungern 70ml abgekochtes Wasser auf sechs gestrichene Messlöffel Milchpulver gießen, dann mit 130ml kaltem, für Babynahrung geeignetem Wasser auffüllen und diese Mixtur dann dem brüllenden Baby anreichen, hat man alles dabei.
  • Gläschen mit Babybrei, Reiskräcker, Brezeln. So gern wir Erwachsenen uns am kulinarisch ausgeklügelten Flugzeugessen laben, so direkt verkünden doch Kinder, wie eklig sie das finden.
  • Kinderbücher. Zum still halten, zumindest für eine Weile. Die Kärtchen mit den Sicherheitshinweisen und die Bordzeitschrift, die ja auch schon von anderen Babys angekaut wurde, halten einfach nicht lange genug vor.
  • Altersgerechtes Spielzeug. Auch aus Erfahrung. Meinem fünf Monate alten Baby wurde einmal von einer sehr bemühten Flugbegleiterin ein Malset geschenkt. Mit den Miniaturstiften konnte es sich und uns prima die Augen ausstechen, am Radiergummi fabelhaft ersticken und das Papier aufessen. Im Gegenzug wurde meiner großen Tochter einmal eine Rassel geschenkt. Fand sie super.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern noch ein paar Dinge im Handgepäck mit sich führen. Da zugegebenermaßen nicht mehr viel Platz bleibt, beschränke ich persönlich mich auf eine Reihe Beruhigungspillen und eine Tüte Salzlakritz. Ach ja, und eine Pulle Schnaps für die Passagiere neben mir und die Flugbegleitung.

Frage Nr. 2: Müssen Eltern ihre Kinder auf einem freien Sitz wickeln?

Nein. Eltern können auch den sogenannten Wickeltisch in der Flugzeugtoilette benutzen. Das geht ganz einfach. Zuerst schnappt man sich die Wickeltasche. Die ist meist etwas groß und unhandlich. Also dengelt man entweder auf dem Weg zur Toilette mit der Tasche gegen alle Sitzlehnen, ein paar auf den Gang hängende Köpfe schlafender Passagiere sowie den Cateringwagen, oder man beschränkt sich auf das Nötigste und klemmt sich nur die Windel und die Feuchttücher unter den Arm. Auch das Kind sollte man mitnehmen. Da dieses ob der vollen Windel rumquengelt, wissen bald alle Passagiere, wohin wir wollen.

Am Klo angekommen, warten wir auf einen freien Raum. Natürlich sind zu der Zeit nur uralte Omis oder Männer mit der Wochenzeitung auf der Toilette, so dass man lange wartet. Mit einem schreienden Kind auf dem Arm. Ständig möchte ein Crewmitglied vorbei, oder ein Passagier, der nicht weiß, wo er hin will, und der dann auch gleich wieder zurück möchte. Endlich wird ein Raum frei. Der die Toilette verlassende Mensch will einem netterweise die Tür aufhalten, was aber natürlich bei diesen genialen Klapptüren nicht geht, so dass sich erst einmal alle Beteiligten die Finger klemmen. Auch das Kind, das daraufhin noch mehr schreit. Man quetscht sich in den winzigen Raum, schließt umständlich die Tür hinter sich, dreht sich um und sieht, dass dieser Raum gar keinen Wickeltisch hat. Man verlässt also den Raum wieder und wartet, bis die Omi im Nebenklo sich zuende gepudert hat.

Endlich im richtigen Raum angelangt eröffnet sich das nächste Problem. Wohin mit der Wickeltasche? Auf den Boden? Nein, vollgepullert. Aufs Waschbecken? Nein, versifft. An den Haken? Gibt es nicht. Also klemmt man sie sich zwischen die Beine. Nun hält man mit der einen Hand das Baby und kann mit der anderen den Wickeltisch herunter klappen. Dachte man. Geht nicht. Klemmt. Man wechselt den Arm. Geht nicht. Klemmt immer noch. Man muss das Kind loswerden, um zwei Hände frei zu haben. Aber wohin damit? Auf den Boden? Immer noch vollgepullert. Auf den Klodeckel? Geht auch nicht, denn erstens kann das Baby noch nicht sitzen und würde hinunter kippen und zweitens geht dann ja der Wickeltisch nicht mehr auf. Also doch auf den Boden. Man hat ja Wechselklamotten mit. Wenn man sich denn entschieden hat, die gesamte Wickeltasche auf die Expedition mitzunehmen. Ansonsten muss man mal eben schnell wieder zurück zum Platz. Dann muss das Kind auf den Wickeltisch gehievt werden. Kopf ans Kopfende, Füße, Knie und Beine hängen weit herunter. Diese Tische sind für Frühchen bis zum Alter von vier Wochen geeignet, aber nicht für ein, im wahrsten Sinne des Wortes, stinknormales Kleinkind. Wie auch immer, als erfahrenes Elternteil kommt man mit fünf bis sechs blauen Flecken davon, flucht nur ein bisschen und beschließt, das nächste Mal das Kind, natürlich, auf einem freien Sitzplatz zu wickeln.

Und, geschätzte Frau Schinkenkäse, haben Sie noch weitere Fragen? Jederzeit gern.

Mittwoch, 15. September 2010

Zur Post.

Ab und zu muss man ja mal zur Post. Nicht mehr so oft wie früher, als eine Postkarte noch billiger, nämlich als Drucksache, zu versenden war, wenn nur fünf Worte plus die Unterschrift darauf standen. Aber auch zur Zeit der E-Briefe und anderen modernen Zeugs zwingen einen ärgerliche Umstände manchmal zum Postamt.

Die Post in meiner Fußgängerzone liegt im Hochparterre und hat eine breite, fast herrschaftliche Treppe. Und einen winzigen Nebeneingang mit einem Miniaturfahrstuhl. Als Mutter mit Doppelkinderwagen muss ich diesen Zugang wählen, denn starke Männer, die einem die Karre die Treppen hoch schleppen, gibt es nicht mehr. Nur noch Ausreden. Und ja auch diesen Fahrstuhl.

Zunächst muss man an dem Bettler vorbei, der genauso breit ist wie die Tür. Seinen Stock stellt er zusätzlich quer in den Weg. Eigentlich will er mich nicht durchlassen, aber sobald ich ein umständliches Gespräch mit ihm anzettele, geht er zur Seite und winkt mich galant durch. Er murmelt noch etwas, aber ich verstehe ihn nicht. Der Fahrstuhl-Vorraum ist gerade groß genug für meinen Doppelkinderwagen und mich. Klaustrophobisch. Die Automatiktür geht hinter mir zu, die Fahrstuhltür aber noch lange nicht auf. Der Fahrstuhl ist der langsamste in ganz Altona. Die Türen gehen in Zeitlupe auf, haken zwischendurch ein wenig und jedes Mal fahre ich mit der Karre gegen den Türrahmen, weil ich zu ungeduldig bin. Die schwarzen Reifenspuren da unten, die sind von mir. Der Fahrstuhl ist ebenfalls gerade groß genug für meinen Kinderwagen und mich. Klaustrophobisch. Nun geht die Fahrstuhltür hinter mir nicht zu. Ich mache mich dünner und dünner, um der Lichtschranke zu entkommen. Noch dünner. Hhhhhmpf... Luft anhalten. Ich drücke den 'Nach oben'-Knopf, der schon halb aus seiner Halterung gerissen wurde (ich will nicht wissen, von wem und warum) wieder und wieder. Man muss nur den richtigen Punkt treffen, damit der Kontakt ausgelöst wird. Denke ich. Ich mache mich noch dünner. Dann endlich schließt sich die Tür holperig hinter mir. Das Kleinkind freut sich fürchterlich. Wir fahren! Es zeigt gegen die Decke. Sie ist verspiegelt. Wir sehen uns. Warum ist die Decke in einem Post-Fahrstuhl verspiegelt? Was passiert hier nach Feierabend? Ich will es wieder nicht wissen. Ein Stockwerk und gefühlte acht Minuten später sind wir oben. Die Tür rumpelt, ich atme auf.

Nun ist da diese Doppeltür aus Glas. Im Sommer wird sie aufgehalten von einer leeren, aber ungereinigten Bratwurstverpackung. Ist wohl bei der letzten Betriebsfeier liegen geblieben und erweist sich nun als praktischer Dienstleister für Mütter mit großen Kinderwagen. Oft ist die Tür aber auch geschlossen und ich stehe vor der nächsten Herausforderung. Obwohl die Schlange der Wartenden vor den Schaltern eigentlich immer, immer, bis zur Tür geht, macht sie niemand für mich auf. Obwohl mich spätestens nach einer Minute alle hören, weil der Kinderwagen so laut gegen den Türrahmen knallt, macht sie niemand für mich auf. Stattdessen werde ich aus leeren Gesichtern angeglotzt. Wer randaliert denn hier so? Ich versuche zunächst, die Tür mit der Karre aufzustoßen. Geht nicht. Dann lehne ich mich vor, stoße sie mit der Hand auf und hoffe, dass sie nicht zu schnell wieder zufällt. Sie fällt zu schnell wieder zu. Ich entschuldige mich beim vorn sitzenden Kind. Ich drehe den Kinderwagen um, schiebe die Tür mit meinem Hintern auf und versuche, die Karre hinter mir her zu ziehen. Die Tür ist schmal. Natürlich dreht sich die schnittige Sportkarre um die eigene Achse und rasselt gegen den Türrahmen. Schon wieder. Ich kämpfe, ich fluche, aber sieben blaue Flecken später bin ich durch. Ich entschuldige mich nicht bei der am Schluss der Schlange stehenden Person dafür, dass ich sie im Eifer des Gefechts geschubst habe, auch wenn sie mich noch so vorwurfsvoll anschaut. 'Mütter!' steht in ihrem Blick geschrieben. 'Dumme Kuh!' in meinem.

Mir ist warm. Ich warte. Die Schlange ist lang. Ich studiere die Quengelware entlang des Ganges. Tesafilm, Ringbuchordner mit Pferdemotiven, Geschenkgutscheine für die Drogerie, wie praktisch. Ich warte. Hinter mir stehen weitere Personen, die auch warten. Viele Personen. Wir dösen vor uns hin. Plötzlich fragt mich die Frau hinter mir: „Stehen Sie auch an?“ Ich frage mich, wo bin ich? Ist dies ein Paralleluniversum? Nein, ich stehe hier nur so herum, weil die Luft hier so gut ist und die Architektur so inspirierend. Außerdem renoviere ich gerade zu Hause und wollte mir mal ansehen, wie die das hier mit dem Linoleumboden gelöst haben. Mir fällt nichts mehr ein. Ich seufze, schweige, warte.

Endlich bin ich Erste in der Schlange. Unruhig schaue ich von links nach rechts, von rechts nach links, um bloß rechtzeitig den nächsten freien Schalter zu erspähen. Geht der Typ? Ach nee, der muss nur noch seinen Absender auf sein Einschreiben setzen. Oh, die Dame dort ist fertig! Ach nee, doch noch was vergessen. Dann ist ein Schalter frei, aber der Postangestellte hantiert ganz gemächlich hinter der mobilen Trennwand herum, sucht noch was, kommt zurück (ich setze zum Start an), dreht wieder um (ich stoppe ab), verschwindet im Hinterzimmer, stempelt was ab, kratzt sich. Ich lasse meine Augen zur Decke wandern. Just in dem Moment ertönt die ungeduldige Stimme des Postbeamten: „Der Nächste!“

Ich bin erleichtert, erledige den Papierkram, verabschiede mich freundlich und schiebe meine Karre zurück zur verschlossenen Glastür, hinter der der Fahrstuhl ist, hinter dem die Automatiktür ist, vor dem der Bettler steht. Aber ab und zu muss man halt mal zur Post.

Freitag, 3. September 2010

Von Pallmalljen und anderen schönen Straßen.

Gerade las ich im Stijlroyal Magazin den kleinen Artikel vom großen @Vergraemer über seine Heimatstadt Limburg und die Unfähigkeit der Hessen, fremdsprachige Straßennamen korrekt auszusprechen. Auch in Hamburg gibt es viele Straßen, die natürlich so ausgesprochen werden, wie sie ausgesprochen werden, und kommt jemand daher, der es besser weiß, ist er kein Hamburger. Während laut @Vergraemer bei den Hessen die Sprachprobleme auf Ignoranz zurückzuführen sind, haben wir es in Hamburg mit gesunder Arroganz zu tun. Ich bin in Hamburg aufgewachsen, bin waschecht, und habe von klein auf gelernt, wie es richtig ist. Daher erkenne ich Quiddjes (Zugereiste) sofort, selbst wenn sie sich größte Mühe geben, den Hamburger Schnack nachzuahmen.

So heißt die Palmaille natürlich 'Pallmallje', und die Rainvilleterrasse 'Reinwillterrasse'. In England heißt die Prachtstraße schließlich auch Pall Mall und auf der Rainvilleterrasse möchte tatsächlich jeder wohnen, weil es dort so schön ist. Bemüht sich also einer, diese Straßennamen französisch nasal auszusprechen, zieht der Hamburger ob dieser Affektivität in Gedanken die Augenbraue hoch und wünscht noch einen schönen Tag. Will der Hamburger jemanden zum Fischgroßhöker schicken, erklärt er ihm, wo die Schnackenburgsallee ist, mit 's' in der Mitte. Auf dem Straßenschild hat sich der Schildermacher grob verschrieben und nur 'Schnackenburgallee' getippt. Interessant ist auch der Kaltenkircher Platz, der an jeder Ecke anders ausgezeichnet ist. So heißt er mal Kaltenkirchener Platz, mal Kaltenkircher Straße, mal Kaltenkirchener Straße. Ich glaube, selbst im Rathaus weiß man nicht, wie er wirklich heißt. Der Hamburger wählt aber meist die erste Variante und bleibt dabei.

Auch ignoriert der Hamburger gern die Umbenennung von Straßen. Was soll das auch? Sein Leben lang hat man sich an der Ost-West-Straße orientiert und nun soll man Willi Brandt würdigen? Touristen werden selbstverständlich zum politisch inkorrekten Karl-Muck-Platz geschickt, wenn sie die Musikhalle suchen, die zwar mittlerweile Laeiszhalle heißt und am was-weiß-ich-wie-der Platz-jetzt-heißt-googlen-Sie-doch-selbst steht.

Überhaupt ist es schwierig, Ortsfremden den Weg zu weisen, wenn man entweder arrogant die Straßenbenennungen verändert oder aber selbst nicht genau weiß, wie die Straßen heißen. Auch das kommt vor. Der Hamburger, zumindest der Altonaer, weiß, was gemeint ist, wenn man 'den Platz beim Aurel' beschreibt, oder 'den Platz bei der Eisliebe', oder 'den Platz, auf dem immer Biomarkt ist'. Und man geht auch immer noch in die 'Alte Welt', nicht auf 'Altonas Balkon'. Zudem der beliebte Ausguck hamburgisch korrekt 'Altonaer Balkon' heißt. Fragt einen ein Tourist, wo die Schmarjestraße ist, überlegt man kurz, erinnert sich an die Schumacher-, Schiller- und Schomburgstraße und schickt ihn dann schließlich nach „da hinten irgendwo, sind alles Einbahnstraßen, also müssen Sie einmal um den Pudding gehen“. Dann geht man weiter, die Frage des Suchenden noch im Kopf, und begreift, dass die Schmarjestraße doch in der anderen Richtung liegt und man sie bloß mit der Schleestraße verwechselt hat. Man dreht sich um, sieht den armen Touristen noch in der Ferne und sagt sich, „Ich wäre ja auch erstmal falsch gelaufen.“

Es gibt übrigens dicke Bücher über die Straßennamen in Hamburg. Ich habe eine Ausgabe von meiner Großmutter geerbt und brauche auch keine neue. Können ja die Quiddjes kaufen.

Dienstag, 10. August 2010

Hundert Mark.

Es gibt diesen wunderbaren Eckladen in meiner Fußgängerzone. Dort werden Cowboystiefel und Levi's verkauft, als wären die Achtziger nie vorbei gegangen. Ein Relikt, ein Klassiker, der sich wacker hält. Als ich letztens an diesem Laden vorbei stromerte, sah ich 2 Schülerinnen, die sich die Auslage im Schaufenster ansahen. Eine zog verächtlich die Augenbraue hoch und sagte: „Ey Mann ey, seh ich so aus, als würde ich 200 Euro für so ein verficktes Paar Cowboystiefel ausgeben?!“ - Ihre Freundin antwortete treu und leise: „Nein...“

Natürlich habe ich nichts gesagt. Ich sage nie etwas. Es hätte die Babys ja auch nicht im Geringsten interessiert, dass ich in diesem fabelhaften Laden vor vielen Jahren mein mühsam zusammen gespartes Taschengeld in die damals ungeheuer ansagten Cowboystiefel gesteckt habe, die jetzt ein Revival erfahren, von dem die Kids überhaupt nichts ahnen. Ich bin nämlich der wahre Trendsetter. Und überhaupt. Ja.


Freitag, 23. Juli 2010

Meine Fußgängerzone.


Meine Fußgängerzone. Natürlich ist sie nicht meine. Sie gehört meinem Stadtteil. Aber irgendwie ist sie doch meine. Sie ist schraddelig und weitläufig, grau und verbaut, aber dann auch wieder bunt und inspirierend. Zumindest für mich. Und es gibt immer wieder etwas zu erzählen.

Meine Fußgängerzone. Die meisten Leute hetzen nur hindurch und gucken grimmig. Manche schlendern auch, aber immer nur mit der Großfamilie in einer Reihe nebeneinander her, so das man nicht vorbeikommt. Will ich links vorbei, schwenken sie nach links. Will ich rechts vorbei, springt plötzlich noch ein weiteres Kleinkind aus der Reihe hervor und stellt mir unfreiwillig ein Bein. Und immer wollen sie in den selben Bäcker wie ich.

Es gibt so viele Originale in meiner Fußgängerzone. Zum Beispiel den Apotheker, der nie einen Kittel trägt und dir eigentlich auch nichts verkaufen will. Ich versuche ihn immer wieder aus der Reserve zu locken, indem ich in seine Apotheke gehe und frage: „Haben Sie das und das?“ Aber seine Antwort ist immer nur ein schlichtes und unaufgeregtes „Nein.“ Ich warte dann immer ein paar Sekunden, um ihm die Chance zu geben, noch etwas zu sagen. Aber er sagt nichts. Ich muss mich immer sehr zusammenreißen, um nicht sein „Nein“ mit einem fröhlichen „... aber ich bestelle es natürlich gern für Sie!“ zu vervollständigen. Einmal habe ich es doch getan. Ich habe auf sein „Nein“ mit „... aber Sie können es doch sicher für mich bestellen, oder?“ geantwortet. Er guckte tatsächlich ein wenig betreten, sagte dann aber: „Ja.“ Ich wieder: „...und dann kann ich das noch heute Abend abholen?“ Er: „Ja.“ Und dann noch schnell hinterher: „Oder morgen.“ Er tut mir ein bisschen Leid. Darum kaufe ich immer mal wieder eine Kleinigkeit bei ihm. Aber wenn ich Beratung oder etwas mehr Forschheit wünsche, gehe ich doch lieber in eine der gefühlten 14 anderen Apotheken in meiner Fußgängerzone.

Ich mag auch die Damen in meiner Drogerie. Ich komme fast jeden Tag in diesen Laden, aber immer tun die Kassiererinnen so, als würden sie mich als Neukunden begrüßen. Sehr höflich, sehr freundlich und, genau wie mein Apotheker, sehr unaufgeregt. Aber das ist Filialen-abhängig. In meiner Gegend gibt es drei oder vier Filialen dieser Drogeriekette. In der einen sind die jungen Wilden an der Kasse, die immer so wirken, als würden sie ganz schnell fertig arbeiten wollen, um dann schnell eine rauchen oder sich Tabletten einwerfen zu können. Sie schwitzen leicht und stöhnen ob der harten Arbeit, bleiben aber trotzdem immer freundlich und flink. In einer anderen sitzt der übereifrige Azubi, der von seinem Chef stets zu sehr gelobt wird und der natürlich irgendwann seine eigene Filiale übernehmen wird, an der Kasse. Er ist immer übermäßig gut gelaunt. Übermäßig. Ich war schon einmal kurz davor, all meine in den Wagen gelegten Artikel wieder mühsam in die Regale zurück zu sortieren, als ich sah, dass „er“ wieder Dienst hatte. Da es sich aber um ca. 70 Babygläschen, 26 Fruchtriegel und 3 Tonnen Windeln handelte, atmete ich tief durch und stellte alles in Reih und Glied aufs Band. Er fing an zu scannen und rief mir dann munter zu „Laufbandkunst ist vergänglich! Hahahahaha!“

Meine Fußgängerzone. Bunt und inspirierend. Und es gibt immer wieder etwas zu erzählen.