Donnerstag, 11. November 2010

Don't You Know That It's Different For Girls.

Ich war gestern im Konzert. Allein. Ich gehe selten allein ins Konzert. Aber diesmal wollte ich es so. Ich bin ein großer Fan. Freunde von mir mögen ihn auch, aber nicht so wie ich. Ich habe immer das Gefühl, dass sie mich nur begleiten, damit ich nicht allein gehen muss. Aber das ist doof. Daher nun also allein. Das ist wunderbar. Keiner trinkt dir dein Bier weg und man kommt überall durch. Und man bekommt so viel mehr mit von der Before-Show-Atmosphäre. Man sieht sich das Publikum genau an, man hört hin, was sie sich erzählen. Und man ist amüsiert, irritiert, manchmal sogar schockiert. Warum zum Beispiel sind die Leute plötzlich zehn Jahre älter als ich? Bei den letzten Konzerten waren sie doch ungefähr genauso alt wie ich. Oder bin ich etwa auch schon so alt und weiß es nur nicht? Oh Gott.

Da sind Leute, die mit dem Rücken zur Vorband sitzen. Hinter einem Pfeiler. Da sind genau zwei Sitzplätze am Pfeiler. Bloß nicht so lange stehen, lieber sitzen bleiben. Sie gucken völlig gelangweilt gegen die Oberschenkel der anderen Besucher. Dabei ist der Support Act gar nicht schlecht. Sieht ein bisschen aus wie Lenny Kravitz. Und singen kann er auch. Aber lieber sitzen bleiben, solange es noch geht. Für den Main Act haben sie ja bezahlt. Dafür stehen sie dann auf.

Es sind viele Lehrer da, viele Karohemden, viele Bärte. Generell viele Brillen und viele Haare. Eigentlich nicht selbstverständlich bei dem Altersdurchschnitt. Viele, volle Haare. Und mehr Männer als Frauen. Ein Typ sieht aus wie der Hauptdarsteller in 'Dawson's Creek', einer ist ein Elvis-Verschnitt, einer wohl Jan Delay-Fan. Eine Hausfrau himmelt Elvis an. Es gibt einige Rausreißer mit Billabong-Jacken. Vor mir steht eine Frau mit Haaren, wie sie jede Frau, außer sehr wahrscheinlich sie selbst, haben möchte. Voll, lang, lockig. Aber sie kitzeln in meiner Nase. Ziemlich eng hier.

Ich hole mir noch ein Bier und versuche, in die Mitte zu kommen. Weiter nach vorn. An den meisten Männern komme ich mit meinem Engelsblick gut vorbei. Doch irgendwann ist Schluss. Schluss mit lustig. Ich stecke in einer Gruppe fest, die es gar nicht komisch findet, wenn sich Fremde vordrängeln. Eine Frau sagt zur mir: „Da kommen noch Zwei!“ Ich sage: „Da kommen noch mehr. Ist ja ein Konzert hier.“ Ihr Kumpel dreht sich um und schlägt mir das Bier aus der Hand. „Das trocknet wieder!“ ist sein Kommentar. Die Zwei kommen. Einer sagt: „Wer ist die denn?“ und deutet auf mich. „Die hat sich vorgedrängelt. Aber die ist ja klein.“ Ich drehe mich um und bestätige, dass ich klein bin. Er sagt: „Aber trotzdem.“

Dann beschwert er sich übers Bier. Gibt ja nur Astra und Carlsquell. Obwohl, das ist bestimmt kein Carlsquell, sondern nur irgendein ALDI-Bier, müsste man mal ins Labor schicken. Er trinkt ja nur Jever. Jever mit V wie in Hannover, nicht wie in Vase. Der Typ mit den langen Haaren (lang sind für ihn schon die Haare von Howard Carpendale) war vorher auch noch nicht da. Und was ist das überhaupt für Musik? Orientalische Loungemusik?

Ich konzentriere mich lieber auf den Mann mit den schwarzen Haaren und den weißen Koteletten. Oder den mit den weißen Haaren und den schwarzen Augenbrauen. Dann ist da ein Typ mit DJ-Ötzi-Kappe in Regenbogenfarben, der eine Hells Angels-Jacke trägt. Und der Mann neben mir, der mich irritiert anguckt, weil ich die Dinge, die ich sehe, in mein Handy spreche, damit ich dies hier später schreiben kann. Er trägt Ohrstöpsel, natürlich. Als wären wir hier bei Manowar.

Zehn nach neun, das Publikum wird ein wenig ungeduldig, es wird Kaugummi von der Galerie geschmissen, man hört verschiedentliches Raunen. „Er verärgert sein Publikum“. Als ein Roadie auf die Bühne kommt, wird „Scheiße“ gerufen.

Dann kommt er. Und der Typ hinter mir sagt: „Der sieht ja aus wie Tom Buhrow.“ Seine Frau ergänzt: „...mit riesigen Ohren.“ Ich will mich umdrehen und ihnen mein Bier ins Gesicht kippen. Aber das ist ja schon alle.

Das Konzert beginnt. Und es wird gut. Danke.