Donnerstag, 30. August 2012

ROMEO!!!

"ROOOOOOOOOOOMEOOOOOOOO!!!"

Ich zucke zusammen, ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich schaue mich um.
Links: nichts.
Rechts: nichts.
Ich entspanne mich. Die Gänsehaut glättet sich wieder.

"ROOOOOOOOOOMEOOOOOOO!!! NEIN!!!!"
Ich fahre wieder zusammen. Mein Hände krallen sich in den Griff des Einkaufswagens. Die Stimme klingt wie Gargamel aus der Blechbüchse.

"ROOOOOMEOOOOOO!! LASS DAS JETZT!!"

Oh nein. Da ist wieder eine. Eine Ätzmutter. Ich seufze. Man bleibt auch nicht verschont. Die eigenen Kinder sicher im Kindergarten geparkt und froh, dass man mal in Ruhe einkaufen kann. Weit gefehlt. Immer sind die Mütter mit den Romeos schon da.

"ROOOOOMEOOO! KOMM MAL BITTE! ROOOMEOOOO! KOMM DOCH MAL! ROOOMEO! KOMMST DU JETZT BITTE MAL? ROOOOOOMEOOOOOO!"

Diese Mütter schnappen sich nicht einfach ihr Kind und zerren es zur Kasse. Diese Mütter kreischen mit schriller Stimme quer durch den ganzen Laden. Natürlich sind sie dabei betont zuckersüß und übertrieben höflich, denn man ist ja nett zu seinem Kind, ein Vorbild! Und jeder soll das wissen.

Der kleine Romeo, übrigens ein ganz niedlicher kleiner Junge von ca. drei Jahren, hat mittlerweile ein anderes Kind in einem Buggy entdeckt, das eine Flasche Fruchtsaft in den Händen hält. Die beiden kommunizieren mit Blicken und Gesten. Romeo entscheidet, dass er auch gern so eine Flasche Fruchtsaft hätte. Er geht also zum Fruchtsaftregal, nimmt sich eine Flasche und wackelt zu seiner Mutter, um sie ihr zu zeigen.

"ROOOOOMEO! WAS HAST DU DENN DA? NEIN, ROMEO, DAS GEHT NICHT! DU DARFST DOCH NICHT EINFACH DIE FLASCHE NEHMEN, ROMEO! WAS WILLST DU DENN DAMIT, ROMEO? HAST DU ETWA DURST, ROMEO? ROOOMEO!!"

Das Kind im Buggy starrt Romeo entgeistert an. Romeo guckt ratlos.

"SO, ROMEO, JETZT STELLST DU DIE FLASCHE ABER WIEDER ZURÜCK, JA? ROMEO?! STELLST DU FLASCHE BITTE WIEDER ZURÜCK? ROOOOOOOOOOOMEO, STELL DIE FLASCHE WIEDER ZURÜCK INS REGAL!!!! ROMEOOOO!"

Romeo hält die Flasche fest. Ganz fest. Und schüttelt fast unmerklich den Kopf. Der Junge im Buggy hält den Atem an.

"ROOOMEO! ICH HABE GESAGT, DU SOLLST DIE FLASCHE WIEDER INS REGAL STELLEN! SO ETWAS TRINKEN WIR NICHT!!!!"

Nun werden auch die anderen Kunden im Laden aufmerksam. Nachdem sie natürlich zunächst höflich so getan haben, als würden sie die Ätzmutter überhaupt nicht bemerken und sich auf ein leises Stöhnen als Ausdruck ihrer Anstrengung beschränkten, halten sie nun inne, ziehen die Augenbrauen hoch und horchen gespannt.

"ROOOMEO, SOLCHEN SCHUND TRINKEN WIR NICHT! KOMM MAL HER, ROMEO, ICH ZEIGE DIR MAL, WAS WIR GERN TRINKEN. ROOOMEOOOOO, KOMM MAL HEEEER! ROOOMEO!!!"

Romeo krallt sich weiter an seiner Fruchtsaftflasche fest und rührt sich kein Stück.

"ROOOOMEO! JETZT KOMM MAL HER! ROOMEO! MAMI ZEIGT DIR JETZT MAL, WAS WIR GERN TRINKEN. GUCK MAL, HIER! DAS TRINKT MAMI GERN!"

Aha! Mami trinkt so etwas gern. Romeo ist sich allerdings ganz sicher, dass er die bräunliche Bio-Brühe aus der recycelten Flasche nicht haben möchte. Er möchte das quietschgelbe Fruchtsaftgetränk mit dem drolligen Tiger drauf.

"ROMEO! NUN GIB SCHON DIE FLASCHE HER! ROOOMEOOOO! ZEIG MAMI MAL DIE FLASCHE!"

Widerwillig reicht Romeo ihr die bunte Flasche. Das Kind im Buggy guckt bestürzt. Die anderen Kunden im Laden bekunden lautlos ihre Anteilnahme.

Die Ätzmutter studiert die Angaben auf der Flasche und wird blass.

"ROOOMEO!!!! SO ETWAS TRINKEN WIR NICHT!!!!!"

Sie stellt das tödliche Zeug angewidert ins Regal zurück, zerrt ihren Sohn zur Kasse und bezahlt die Dinkelstangen und das Früchtebrot. Romeo schaut die Kassiererin hilfesuchend an. Und sie versteht. Sie zwinkert der älteren Dame, die weiter hinten in der Schlange steht, zu. Die Dame greift in das Süßigkeitenregal und zieht einen knallbunten Lolli hervor. Sie gibt ihn weiter an den Herrn, der vor ihr in der Schlange steht. Der steckt ihn mir zu. Ich gebe ihn dem kleinen Jungen im Buggy. Und während die Verkäuferin ein umständliches Gespräch mit der Ätzmutter anzettelt, wechselt der gesundheitsschädigende Lutscher von einer kleinen Hand in die nächste. Und Romeo strahlt. Aber nur eine Sekunde.

"ROOOMEO!!!!! WAS HAST DU DA?????!"

Die Antwort kommt aus aller Munde, von der älteren Dame, von dem Herrn vor ihr, vom Kind im Buggy, von dessen Mutter, von mir, und sogar von der Angestellten, die ganz hinten im Laden Regale einräumt:

"NICHTS!!!!!!!!!"

Mittwoch, 11. Januar 2012

Sind das Möwen?


Meine Fußgängerzone. Natürlich ist sie nicht meine. Sie gehört meinem Stadtteil. Aber irgendwie ist sie doch meine. Sie ist schraddelig und weitläufig, grau und verbaut, aber dann auch wieder bunt und inspirierend. Zumindest für mich. Und es gibt immer wieder etwas zu erzählen.

Ich liebe meine Fußgängerzone. Sogar die Tauben. So irgendwie. Es gibt gar nicht so viele Tauben in meiner Fußgängerzone. Sie konzentrieren sich eigentlich alle an einer Stelle. Dort, wo die ganze Taubenkacke liegt. Dort, wo man Fußgänger Schlangenlinien laufen sieht, weil sie eben dieser versuchen auszuweichen. Ich bin da nicht so. Ich laufe immer mitten hindurch. Meist knartscht es so lustig, wenn man auf die Kruste tritt, die so aussieht, als könnte sie für Mondoberflächenforscher von großem Interesse sein.

In letzter Zeit sehen die Tauben allerdings gar nicht mehr gut aus. Waren sie vor ein paar Jahren noch fett und selbstbewusst, sieht man jetzt immer mehr halbe Portionen, abgemagerte und zerrupfte Exemplare. Die Zeiten sind halt schlecht. Vor dem Bäcker steht ein 'Wir müssen draußen bleiben'-Schild. Da Tauben schlecht lesen können, muss man im Laden oft den Kopf einziehen, wenn mal wieder eine legasthenische Taube im Tiefflug Krumen zu erhaschen versucht. Die Bäckereifachverkäufer haben bereits eine beachtliche Hornhaut an den Schläfen entwickelt. Manche durch infizierte Taubenkrallen verursachte Furche sieht aus wie ein Schmiss. Die zählen schon was in der Bäckerinnung. Neukunden entwickeln allerdings eine gewisse Nervosität ob des Taubenverkehrs. Ich komme klar. Als Mutter kleiner Kinder kann man Geschossen blitzschnell aus dem Weg gehen. Bauklotz oder Taubenschiss, Fingernagel oder Vogelkralle, ist da egal.

Die Kinder sind natürlich auch nicht gut zu den Tauben. Mit ihren Laufrädern fahren sie johlend quer über den Platz, direkt in die vor sich hin dösende Menge. Dann versuchen sie, von mit dem Krückstock fuchtelnden Opas angestachelt, den Geschöpfen auf die Schwänze zu treten. Die halben Portionen kommen nie schnell genug weg. Wenn sie Glück haben, werden sie von einer ihrer fetten, schwerfällig hoch hüpfenden Schwestern geschützt. Wenn nicht, schmücken ihre Hinterfedern schon bald drollige Knetfiguren oder Muttis Bild zum Namenstag.

Sowieso hat niemand mehr Respekt vor den Tauben. Während ich meiner Familie versuche beizubringen, dass die Würde jedes gemeinen Vogels unantastbar sein sollte, kommt das Kusch-kuschen ganz groß in Mode. Aber mir hört ja sowieso niemand zu. Mein Kleinkind fragt immer, ja jedes Mal, wenn wir am Taubenplatz vorbeikommen: „Sind das Möwen?“ Aber ich werde nicht müde, mit Nachsicht in der Stimme, zu sagen: „Nein, mein Kind, das sind Tauben.“ Die Tauben in meiner Fußgängerzone.