Mittwoch, 15. September 2010

Zur Post.

Ab und zu muss man ja mal zur Post. Nicht mehr so oft wie früher, als eine Postkarte noch billiger, nämlich als Drucksache, zu versenden war, wenn nur fünf Worte plus die Unterschrift darauf standen. Aber auch zur Zeit der E-Briefe und anderen modernen Zeugs zwingen einen ärgerliche Umstände manchmal zum Postamt.

Die Post in meiner Fußgängerzone liegt im Hochparterre und hat eine breite, fast herrschaftliche Treppe. Und einen winzigen Nebeneingang mit einem Miniaturfahrstuhl. Als Mutter mit Doppelkinderwagen muss ich diesen Zugang wählen, denn starke Männer, die einem die Karre die Treppen hoch schleppen, gibt es nicht mehr. Nur noch Ausreden. Und ja auch diesen Fahrstuhl.

Zunächst muss man an dem Bettler vorbei, der genauso breit ist wie die Tür. Seinen Stock stellt er zusätzlich quer in den Weg. Eigentlich will er mich nicht durchlassen, aber sobald ich ein umständliches Gespräch mit ihm anzettele, geht er zur Seite und winkt mich galant durch. Er murmelt noch etwas, aber ich verstehe ihn nicht. Der Fahrstuhl-Vorraum ist gerade groß genug für meinen Doppelkinderwagen und mich. Klaustrophobisch. Die Automatiktür geht hinter mir zu, die Fahrstuhltür aber noch lange nicht auf. Der Fahrstuhl ist der langsamste in ganz Altona. Die Türen gehen in Zeitlupe auf, haken zwischendurch ein wenig und jedes Mal fahre ich mit der Karre gegen den Türrahmen, weil ich zu ungeduldig bin. Die schwarzen Reifenspuren da unten, die sind von mir. Der Fahrstuhl ist ebenfalls gerade groß genug für meinen Kinderwagen und mich. Klaustrophobisch. Nun geht die Fahrstuhltür hinter mir nicht zu. Ich mache mich dünner und dünner, um der Lichtschranke zu entkommen. Noch dünner. Hhhhhmpf... Luft anhalten. Ich drücke den 'Nach oben'-Knopf, der schon halb aus seiner Halterung gerissen wurde (ich will nicht wissen, von wem und warum) wieder und wieder. Man muss nur den richtigen Punkt treffen, damit der Kontakt ausgelöst wird. Denke ich. Ich mache mich noch dünner. Dann endlich schließt sich die Tür holperig hinter mir. Das Kleinkind freut sich fürchterlich. Wir fahren! Es zeigt gegen die Decke. Sie ist verspiegelt. Wir sehen uns. Warum ist die Decke in einem Post-Fahrstuhl verspiegelt? Was passiert hier nach Feierabend? Ich will es wieder nicht wissen. Ein Stockwerk und gefühlte acht Minuten später sind wir oben. Die Tür rumpelt, ich atme auf.

Nun ist da diese Doppeltür aus Glas. Im Sommer wird sie aufgehalten von einer leeren, aber ungereinigten Bratwurstverpackung. Ist wohl bei der letzten Betriebsfeier liegen geblieben und erweist sich nun als praktischer Dienstleister für Mütter mit großen Kinderwagen. Oft ist die Tür aber auch geschlossen und ich stehe vor der nächsten Herausforderung. Obwohl die Schlange der Wartenden vor den Schaltern eigentlich immer, immer, bis zur Tür geht, macht sie niemand für mich auf. Obwohl mich spätestens nach einer Minute alle hören, weil der Kinderwagen so laut gegen den Türrahmen knallt, macht sie niemand für mich auf. Stattdessen werde ich aus leeren Gesichtern angeglotzt. Wer randaliert denn hier so? Ich versuche zunächst, die Tür mit der Karre aufzustoßen. Geht nicht. Dann lehne ich mich vor, stoße sie mit der Hand auf und hoffe, dass sie nicht zu schnell wieder zufällt. Sie fällt zu schnell wieder zu. Ich entschuldige mich beim vorn sitzenden Kind. Ich drehe den Kinderwagen um, schiebe die Tür mit meinem Hintern auf und versuche, die Karre hinter mir her zu ziehen. Die Tür ist schmal. Natürlich dreht sich die schnittige Sportkarre um die eigene Achse und rasselt gegen den Türrahmen. Schon wieder. Ich kämpfe, ich fluche, aber sieben blaue Flecken später bin ich durch. Ich entschuldige mich nicht bei der am Schluss der Schlange stehenden Person dafür, dass ich sie im Eifer des Gefechts geschubst habe, auch wenn sie mich noch so vorwurfsvoll anschaut. 'Mütter!' steht in ihrem Blick geschrieben. 'Dumme Kuh!' in meinem.

Mir ist warm. Ich warte. Die Schlange ist lang. Ich studiere die Quengelware entlang des Ganges. Tesafilm, Ringbuchordner mit Pferdemotiven, Geschenkgutscheine für die Drogerie, wie praktisch. Ich warte. Hinter mir stehen weitere Personen, die auch warten. Viele Personen. Wir dösen vor uns hin. Plötzlich fragt mich die Frau hinter mir: „Stehen Sie auch an?“ Ich frage mich, wo bin ich? Ist dies ein Paralleluniversum? Nein, ich stehe hier nur so herum, weil die Luft hier so gut ist und die Architektur so inspirierend. Außerdem renoviere ich gerade zu Hause und wollte mir mal ansehen, wie die das hier mit dem Linoleumboden gelöst haben. Mir fällt nichts mehr ein. Ich seufze, schweige, warte.

Endlich bin ich Erste in der Schlange. Unruhig schaue ich von links nach rechts, von rechts nach links, um bloß rechtzeitig den nächsten freien Schalter zu erspähen. Geht der Typ? Ach nee, der muss nur noch seinen Absender auf sein Einschreiben setzen. Oh, die Dame dort ist fertig! Ach nee, doch noch was vergessen. Dann ist ein Schalter frei, aber der Postangestellte hantiert ganz gemächlich hinter der mobilen Trennwand herum, sucht noch was, kommt zurück (ich setze zum Start an), dreht wieder um (ich stoppe ab), verschwindet im Hinterzimmer, stempelt was ab, kratzt sich. Ich lasse meine Augen zur Decke wandern. Just in dem Moment ertönt die ungeduldige Stimme des Postbeamten: „Der Nächste!“

Ich bin erleichtert, erledige den Papierkram, verabschiede mich freundlich und schiebe meine Karre zurück zur verschlossenen Glastür, hinter der der Fahrstuhl ist, hinter dem die Automatiktür ist, vor dem der Bettler steht. Aber ab und zu muss man halt mal zur Post.

Freitag, 3. September 2010

Von Pallmalljen und anderen schönen Straßen.

Gerade las ich im Stijlroyal Magazin den kleinen Artikel vom großen @Vergraemer über seine Heimatstadt Limburg und die Unfähigkeit der Hessen, fremdsprachige Straßennamen korrekt auszusprechen. Auch in Hamburg gibt es viele Straßen, die natürlich so ausgesprochen werden, wie sie ausgesprochen werden, und kommt jemand daher, der es besser weiß, ist er kein Hamburger. Während laut @Vergraemer bei den Hessen die Sprachprobleme auf Ignoranz zurückzuführen sind, haben wir es in Hamburg mit gesunder Arroganz zu tun. Ich bin in Hamburg aufgewachsen, bin waschecht, und habe von klein auf gelernt, wie es richtig ist. Daher erkenne ich Quiddjes (Zugereiste) sofort, selbst wenn sie sich größte Mühe geben, den Hamburger Schnack nachzuahmen.

So heißt die Palmaille natürlich 'Pallmallje', und die Rainvilleterrasse 'Reinwillterrasse'. In England heißt die Prachtstraße schließlich auch Pall Mall und auf der Rainvilleterrasse möchte tatsächlich jeder wohnen, weil es dort so schön ist. Bemüht sich also einer, diese Straßennamen französisch nasal auszusprechen, zieht der Hamburger ob dieser Affektivität in Gedanken die Augenbraue hoch und wünscht noch einen schönen Tag. Will der Hamburger jemanden zum Fischgroßhöker schicken, erklärt er ihm, wo die Schnackenburgsallee ist, mit 's' in der Mitte. Auf dem Straßenschild hat sich der Schildermacher grob verschrieben und nur 'Schnackenburgallee' getippt. Interessant ist auch der Kaltenkircher Platz, der an jeder Ecke anders ausgezeichnet ist. So heißt er mal Kaltenkirchener Platz, mal Kaltenkircher Straße, mal Kaltenkirchener Straße. Ich glaube, selbst im Rathaus weiß man nicht, wie er wirklich heißt. Der Hamburger wählt aber meist die erste Variante und bleibt dabei.

Auch ignoriert der Hamburger gern die Umbenennung von Straßen. Was soll das auch? Sein Leben lang hat man sich an der Ost-West-Straße orientiert und nun soll man Willi Brandt würdigen? Touristen werden selbstverständlich zum politisch inkorrekten Karl-Muck-Platz geschickt, wenn sie die Musikhalle suchen, die zwar mittlerweile Laeiszhalle heißt und am was-weiß-ich-wie-der Platz-jetzt-heißt-googlen-Sie-doch-selbst steht.

Überhaupt ist es schwierig, Ortsfremden den Weg zu weisen, wenn man entweder arrogant die Straßenbenennungen verändert oder aber selbst nicht genau weiß, wie die Straßen heißen. Auch das kommt vor. Der Hamburger, zumindest der Altonaer, weiß, was gemeint ist, wenn man 'den Platz beim Aurel' beschreibt, oder 'den Platz bei der Eisliebe', oder 'den Platz, auf dem immer Biomarkt ist'. Und man geht auch immer noch in die 'Alte Welt', nicht auf 'Altonas Balkon'. Zudem der beliebte Ausguck hamburgisch korrekt 'Altonaer Balkon' heißt. Fragt einen ein Tourist, wo die Schmarjestraße ist, überlegt man kurz, erinnert sich an die Schumacher-, Schiller- und Schomburgstraße und schickt ihn dann schließlich nach „da hinten irgendwo, sind alles Einbahnstraßen, also müssen Sie einmal um den Pudding gehen“. Dann geht man weiter, die Frage des Suchenden noch im Kopf, und begreift, dass die Schmarjestraße doch in der anderen Richtung liegt und man sie bloß mit der Schleestraße verwechselt hat. Man dreht sich um, sieht den armen Touristen noch in der Ferne und sagt sich, „Ich wäre ja auch erstmal falsch gelaufen.“

Es gibt übrigens dicke Bücher über die Straßennamen in Hamburg. Ich habe eine Ausgabe von meiner Großmutter geerbt und brauche auch keine neue. Können ja die Quiddjes kaufen.